Fast 4000 Meter hohe Berge, Meereszugänge in Form von langen Sandstränden, felsigen Buchten, historischen Küstenstädten und internationalen Frachthäfen im Westen und Osten der Oberen Adria, fünf Amtssprachen, rund 9,1 Millionen Einwohner und eine Fläche, die etwas größer ist als Österreich: Die Region, die das New Alpe Adria Network (NAAN) überspannt, hätte das Zeug zum eigenen Staat. Nicht umsonst bezeichnete der italienische Schriftsteller Claudio Magris den Alpe-Adria-Raum als „Kristallisationspunkt der europäischen Integration“.
Tatsächlich durchziehen zahlreiche noch im 20. Jahrhundert blutig umkämpfte historische Frontlinien die Gebirgszonen und Flusstäler. Heute ist es möglich, in der gesamten Region ohne Reisepass zwischen vier EU-Mitgliedsstaaten unterwegs zu ein. Man hat hier erfolgreich den Wandel von der Konfrontation zur Kooperation geschafft. Im Rahmen des 2007 gegründeten NAAN-Netzwerks, eines Zusammenschlusses aus acht Regionen im Herzen Europas, soll diese Zusammenarbeit vergrößert und verdichtet werden.
Das Fundament bilden neun Handels-, Handwerks- und Gewerbekammern aus Kärnten, der Steiermark, Slowenien, Friaul-Julisch Venetien, dem Veneto sowie aus den kroatischen Gespanschaften Istrien und Primorje-Gorski kotar zusammen. Ziel ist die strategische Kooperation bezüglich wirtschaftlicher Zusammenarbeit bei Infrastruktur, Transport, Tourismus und Digitalisierung, um die Wettbewerbsfähigkeit des Alpen-Adria-Raums zu steigern. „Darüber hinaus wollen wir langfristig eine EU-Makroregion für den Alpen-Adria-Raum mit verbesserten grenzüberschreitenden Förderungen schaffen“, betont Kärntens Wirtschaftskammer-Präsident Jürgen Mandl.
Aber nicht nur als Wirtschaftsraum ist die Region von zentraler Bedeutung, sondern auch das so entstehende Kooperationsnetzwerk für die Umsetzung von gemeinsamen Projekten wie beispielsweise die interregionale Lehrlingsausbildung, verweist Steiermarks Wirtschaftskammer-Präsident Josef Herk auf das zuletzt nach steirischem Vorbild eröffnete Talent Center in Bozen. Hier werden Begabungen junger Menschen gezielt ans Tageslicht befördert, um in weiterer Folge mit Blickrichtung Fachkräfteaus- und -weiterbildung individuell bestmöglich gefördert zu werden. Das Potenzial ist enorm.
Um effizient Synergien nutzen zu können, ist jede Region für ein bestimmtes Thema zuständig. Hauptstoßrichtung ist die Umsetzung eines EU-Förderprogramms, das neben der Durchführung bilateraler Interreg-Projekte auch gemeinsame, grenzüberschreitende Projekte zwischen drei oder mehreren Ländern des Alpen-Adria-Raums ermöglicht.
Beispiele dieser multilateralen Verbindungen gibt es schon jetzt. So durchziehen drei wesentliche europäische (Bahn-)Verkehrsachsen den Raum: die Baltisch-Adriatische-Achse, die Pyhrn-Schober-Achse sowie die Tauern-Achse. Sie verlaufen durch die Steiermark und Kärnten, verbinden den Norden Europas mit den Häfen in Ravenna, Venedig, Koper und Rijeka und sind damit wichtige Adern der exportorientierten Regionalwirtschaften. So sind gerade auch für die Steiermark und Kärnten kapazitätsmäßig hochwertige Zugänge zu den Seehäfen Koper und Triest sowie in den süddeutschen Raum essenziell.
Ähnliches gilt für die Brennerroute zwischen Italien und den mitteleuropäischen Märkten. Südtirol liegt direkt an dieser Handelsbrücke, wo aktuell noch 70 Prozent der auf dem Landweg beförderten Güter transportiert werden. Jährlich sind es rund 55 Millionen Tonnen Güter, die über den Brenner unterwegs sind – drei Viertel davon auf der Straße in rund 2,5 Millionen Lkw pro Jahr. Die Belastungsgrenzen für diese Transitroute sind längst erreicht. So wie man in der Steiermark und Kärnten der Fertigstellung der Koralmstrecke und des Semmering-Basistunnels als dringend notwendige Kapazitätserweiterung und Geschwindigkeitssteigerung entgegensehnt, so wartet man in Südtirol und Venetien daher auf die Fertigstellung des Brenner-Basistunnels, der dereinst mit 55 Kilometern der längste Eisenbahntunnel der Welt sein wird.
Neben dem Verkehr gelten Forschung und Innovation als jene Bereiche, die durch grenzüberschreitende Kooperationen künftig auch auf dem internationalen Parkett mehr Strahlkraft entwickeln könnten. Bestehende bilaterale Cluster wie die „Silicon Austria Labs“ beziehungsweise der „Silicon Alps Cluster“ sind Stützen der hohen Forschungs- und Entwicklungsquoten in der Steiermark und Kärnten.
Demgegenüber stehen innovationsmäßig noch eher unterbelichtete Regionen wie Slowenien oder das – zumindest langsam Richtung europäischem Durchschnitt aufholende – Kroatien. Dazwischen rangiert mit Friaul-Julisch Venetien eine der diesbezüglich dynamischsten Regionen Italiens. Mit sektorübergreifenden Wissenschafts- und Technologieparks und zahlreichen Universitäten besteht ein fruchtbares Fundament, auch in Südtirol florieren die Investitionen für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
Die Basis für Synergien, die das Wirtschaftswachstum in der gesamten NAAN-Region absichern und befeuern, um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu behalten, ist damit gelegt. Potenzial wird von Wirtschaftsforschern vor allem im Bereich einer nachhaltigen, grünen Wirtschaft gesehen. Die intakte Natur in weiten Gebieten ist dabei wertvolles Asset.