Eine Lehre stellt keine Sackgasse dar – den Beweis dafür liefert die EuroSkills, die in Graz über die Bühne ging. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, treten bei der europäischen Berufsmeisterschaft junge Talente aus verschiedensten Berufsfelder an und stellen ihr Können unter Beweis. Gleichzeitig bieten die EuroSkills den Besuchern die Möglichkeit, sich über verschiedene Berufsfelder und Ausbildungswege zu informieren und die Leistungen der Teilnehmer zu bestaunen.
Das macht die EuroSkills nicht nur zu einem spannenden Wettbewerb, die Messe leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Berufsbildung und Fachkräfteentwicklung in Europa. Ein Pionierbeispiel um dem Fachkräftemangel Herr zu werden. Über dieses und weitere Thema diskutierten eine Runde an Experten mit JUST-Chefredakteur und Herausgeber Alexander Pansi. Unter ihnen: Josef Herk, Präsident der Wirtschaftskammer Steiermark, Harald Mahrer, Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer und Margarete Schramböck, Ministerin für Digitalisierung und den Wirtschaftsstandort Österreich.
Viele Branchen und Berufsbilder durchlaufen durch die Digitalisierung gerade einen Wandel. Welche Skills wird man in der Arbeitswelt von morgen brauchen?
Schramböck: Der Arbeitsmarkt und die Unternehmen befinden sich mitten in der digitalen Transformation. Unsere Fachkräfte von morgen brauchen daher die beste Ausbildung im traditionellen Handwerk verbunden mit digitalen Kompetenzen am Puls der Zeit. Österreich gilt international für sein duales Ausbildungssystem als Vorzeigeland für Lernen im Unternehmen und in der Berufsschule. Um dem Wandel am Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen, überarbeiten wir jeden Lehrberuf alle fünf Jahre und schaffen gleichzeitig auch neue Berufsbilder. Gerade im Bereich der Digitalisierung brauchen die Unternehmen topausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Daher haben wir im Bereich Digitalisierung neue Lehrberufe wie Coding oder auch E-Commerce eingeführt. Mit den besten Ausbildungsmöglichkeiten geben wir Lehrlingen das optimale Rüstzeug für ihren Einstieg ins Berufsleben mit.
Von 22. bis 26. September findet in Österreich erstmals eine Berufseuropameisterschaft statt. Warum sind Ihnen diese EuroSkills ein solches Anliegen?
Mahrer: Alle, die schon dabei waren, wissen: Es ist ein wirklich cooles Event, die Stimmung und der Spirit sind unglaublich. Stellen Sie sich eine Leistungsschau von Berufsprofis auf höchstem Niveau vor, dazu Gänsehautmomente wie in einem internationalen Sportevent. Das Feuer, mit dem diese jungen Fachkräfte für ihre Berufe brennen, lässt keinen kalt. Unsere Skills-Athletinnen und -Athleten sind dadurch ideale Vorbilder für junge Menschen. Sie leben vor, was sich erreichen lässt: mit Talent – sicher, das braucht es auch –, aber vor allem mit Leidenschaft, Ehrgeiz und Disziplin. Und, das sage ich durchaus stolz: Wir sind mit unserer Medaillenbilanz als Österreicher ziemlich erfolgsverwöhnt. 111 EuroSkills-Medaillen seit 2008: Das ist auch ein Spitzenzeugnis für unsere berufliche Ausbildung.
Die Berufs-EM findet nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund eines eklatanten Fachkräftemangels statt. Welche Impulse erwarten Sie durch den internationalen Wettbewerb in Graz?
Herk: Wenn wir den Fachkräftemangel in den Griff bekommen wollen, dann müssen wir den Stellenwert der beruflichen Ausbildung nachhaltig heben. Öffentliche Wertschätzung ist dafür ein wichtiger Baustein. Wir haben ausgezeichnete Ausbildungsbetriebe mit hervorragenden Young Professionals, die international seit Jahren zu den Besten der Besten zählen. Ihre Arbeit verdient die große Bühne, mit der sich unser Land darüber hinaus als europäischer Hotspot für Jungfachkräfte präsentieren kann. Und was in diesem Zusammenhang noch wichtiger ist: Eine breite Öffentlichkeit wird über die große Vielfalt beruflicher Ausbildungsmöglichkeiten informiert. Denn wir brauchen sie dringend, die Fachkräfte von morgen. Allein in den vergangenen 15 Jahren hat sich der Anteil der über 50-jährigen Mitarbeiter in unseren Betrieben mehr als verdoppelt. Wir steuern hier also einem enormen personellen Engpass zu, der für jedes wirtschaftliche Wachstum künftig zum Flaschenhals zu werden droht.
Stichwort Fachkräftemangel: Viele Menschen haben aufgrund von Corona ihren Job verloren, gleichzeitig klagt man in der Wirtschaft über zu wenig Arbeitskräfte. Wie passt das zusammen?
Schramböck: Die Corona-Krise hat den Arbeitsmarkt komplett auf den Kopf gestellt. Einige Branchen wie die Industrie, die Gewerbebetriebe oder auch der Bau suchen händeringend nach Fachkräften. Nachdem sich noch nicht alle Branchen wieder vollständig erholt haben, stehen derzeit viele Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt zur Verfügung. Das Problem: Ihnen fehlt oftmals die richtige Qualifikation. Daher ist es aus meiner Sicht notwendig, dass wir nicht nur 15-Jährige oder Schulabbrecher für die Lehre gewinnen können, sondern auch neue Zielgruppen ansprechen. Eine gute Möglichkeit bietet hier die Duale Akademie, die von Oberösterreich aus sukzessive auf alle Bundesländer ausgerollt wird. Sie richtet sich speziell an Maturantinnen und Maturanten und bietet die Möglichkeit, eine Lehre in verkürzter Lehrzeit zu absolvieren. Damit bilden wir heute bereits die Fachkräfte der nächsten Jahre aus.
Welche Maßnahmen braucht es, um in Zeiten des demografischen Wandels dem Fachkräftemangel vorzubeugen?
Mahrer: Was wir für Österreichs Arbeitsmarkt generell brauchen, ist mehr Flexibilität und Bereitschaft zu Mobilität. Dass Jobchancen dort ergriffen werden, wo sie sich auftun. Das gilt auch für junge Menschen, wenn die ideale Lehrstelle womöglich ein paar Kilometer weiter weg ist – oder sogar in einem anderen Bundesland.
Wichtig ist, dass Eltern die Karrierechancen ihrer Kinder richtig einordnen. Die Lehre ist eine perfekte Startrampe ins Berufsleben. Vielen ist gar nicht bewusst, wie viele Türen dieser Berufseinstieg öffnet. Lehrlinge und Lehrabsolventen werden von den Firmen aktuell dringend gesucht. Bei Handwerks- und technischen Berufen ist der Fachkräftemangel am stärksten. Das bedeutet im Gegenzug hervorragende Beschäftigungs- und Karrierechancen für junge Leute!
Die Lehrinhalte sind immer aktuell und auf der Höhe der Zeit und Technologie zu halten. Und, ganz wichtig: Die jungen Menschen haben schon in der Ausbildung einen Fuß im Betrieb und knüpfen wertvolle Kontakte. Wer ehrgeizig ist, dem stehen unzählige Wege der Weiterbildung offen, in der akademischen wie der beruflichen Welt. Da sollte der österreichischen Öffentlichkeit ein Licht aufgehen, deshalb tun wir viel, um das Image der dualen Ausbildung zu verbessern. Sie hat es sich verdient.
Herk: Ich kann Präsident Mahrer in dieser Frage nur bestätigen: Das Thema Fachkräftesicherung ist eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre. Denn egal, in welcher Branche und in welcher Region ich derzeit Betriebe besuche, auf ein Thema werde ich immer angesprochen: Wir finden keine Leut’ … Eine äußerst paradoxe Situation angesichts der, wie vorhin schon ausgeführt, noch immer hohen Arbeitslosenzahlen, aber Angebot und Nachfrage passen am Arbeitsmarkt nicht zusammen. Darum machen wir uns auch für eine stärkere Mobilisierung des vorhandenen Potenzials stark, etwa durch eine Forcierung der überregionalen Vermittlung. In der Steiermark haben wir darüber hinaus auch ein Konzept für ein „Talentcenter Plus“ vorgelegt. Mit diesem könnte man Arbeitssuchenden helfen, neue Interessen und Talente zu entdecken, um so vielleicht auch ein neues Jobumfeld zu finden – dafür braucht es aber die entsprechende Unterstützung der öffentlichen Hand. Und ja, wir werden zu guter Letzt auch über Erleichterungen für die qualifizierte Zuwanderung sprechen müssen. Wir brauchen diese Menschen, darum plädiere ich auch diese Frage endlich von der ständigen Migrationsdebatte loszulösen.
Das steirische Talentcenter ist mittlerweile auch ein Exporterfolg?
Herk: Ja, vor Kurzem konnten wir ein Kooperationsabkommen mit der Handelskammer Bozen unterzeichnen, die ein Talentcenter nach Grazer Vorbild errichten möchte. Im Zuge dieser Kooperation soll Jugendlichen auch durch Praktika im jeweils anderen Land die Möglichkeit geboten werden, wichtige internationale Erfahrungen zu sammeln, welche sie dann in die heimischen Betriebe mitbringen können.
Die Lehre gilt als berufliche Karriereschmiede, trotzdem drängen viele Eltern ihre Kinder nach wie vor in die höhere Schulbildung. Woran liegt das?
Schramböck: Jahrzehntelang war die Lehre verschrien. Zu Unrecht wurde sie als Sackgasse gesehen. Dieses Bild will ich aus den Köpfen der Eltern und der Kinder bringen. Denn für mich ist die Lehre die erste Stufe auf der Karriereleiter. Sie ist eine Ausbildung mit Zukunft und eröffnet Berufseinsteigern oder auch Quereinsteigern alle beruflichen Möglichkeiten. Damit sich junge Menschen für eine duale Ausbildung entscheiden, ist es wichtig, dass wir die Lehre laufend verbessern und auch ihr Image verbessern. Ich habe es vorhin bereits erwähnt, seit ich Wirtschaftsministerin bin, haben wir viele neue coole Lehrberufe eingeführt und neue Elemente in traditionellen Lehrberufen ergänzt. Ebenso war es mir ein Anliegen, den Bachelor mit dem Meistertitel gleichzustellen. Genauso wie beim Bachelor oder Ingenieur können Lehrlinge ihren Titel nun auch im Pass oder Führerschein führen. All das macht die Lehre für junge Menschen oder auch Berufsumsteiger attraktiver. Unsere Lehrlinge sind die dringend benötigten Fachkräfte von morgen. Daher sollten wir sie auch als solche wertschätzen.
Braucht es hier – angesichts der nach wie vor hohen Abbruch- und Wechselquoten an den Schulen – auch noch gezieltere Informationen zur Berufs- und Ausbildungswahl?
Mahrer: Auf jeden Fall. Wir brauchen Berufsorientierungsangebote, die unverrückbar in den Lehrplänen aller Schultypen in der Pflichtschule verankert sind. Unser Ziel sollte sein, dass jeder junge Mensch die für sie oder ihn richtige berufliche Entscheidung trifft. Am Ende haben auch Schulen nichts davon, wenn sich junge Menschen entgegen ihren Neigungen mit wenig Erfolg durch eine Schullaufbahn quälen. Richtig gut im Job ist nur, wer das, was er tut, gerne macht. Das trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei, stärkt den Betrieb und am Ende auch den Wirtschaftsstandort.
Welchen Rat möchten Sie Eltern und Jugendlichen, die gerade vor einer Ausbildung- und Berufswahl stehen, geben?
Mahrer: Mein Rat wäre: Geht offen an eure Berufsentscheidung heran. Lasst euch nichts von anderen einreden, sondern spürt euren eigenen Talenten nach. Findet heraus, wo eure Stärken liegen, macht dazu vielleicht einen Talente-Check und lasst euch beraten. Es gibt mehr als 200 Lehrberufe, darunter hochspannende Berufe mit ausgezeichneten Zukunftschancen, von denen ihr bisher vielleicht noch gar nicht gehört habt. Vielleicht ist einer davon für euch goldrichtig.
Schramböck: Unsere duale Ausbildung gilt nicht nur in Europa, sondern weltweit als Weltklasse und viele Länder schauen sich unser System ab. Diese Ausbildung vereint das Beste aus Praxis und Theorie und eröffnet enorme Chancen für die Zukunft. Wichtig ist es, die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg der Berufsfindung zu begleiten. Man muss genau hinschauen, Motive hinterfragen und Alternativen aufzeigen. Eltern kennen ihre Kinder am besten und können Stärken und Schwächen beurteilen. Als Wirtschaftsministerium ist uns eine umfassende Information wichtig: Erste Orientierung mit Informationen über alle Lehrberufe bietet zum Beispiel die Broschüre „Lehrberufe in Österreich – Ausbildungen mit Zukunft“. Auch der Besuch einer Berufsausbildungsmesse kann einen guten Überblick bieten.
Herk: Sich gut zu informieren. Unsere Betriebe bieten ein derart breites Spektrum von Berufs- und Karrieremöglichkeiten, da ist für jedes Talent etwas dabei. Am besten man schaut dafür bei den EuroSkills am Schwarzlsee vorbei, dort gibt es von 22. bis 26. September nicht nur Europas beste Jungfachkräfte zu sehen, sondern auch jede Menge Informationen und „Try a Skill“-Stationen, bei denen man Berufe selbst ausprobieren kann.
Infos:
Josef Herk
ist seit 2011 Präsident der Wirtschaftskammer Steiermark. Der 61-Jährige hat die Meisterprüfung in Karosseriebau und Kfz-Mechanik und führt einen Betrieb in Knittelfeld. Herk holte die EuroSkills nach Graz.
Harald Mahrer
ist seit Mai 2018 Präsident der Österreichischen Wirtschaftskammer und wurde im September 2018 auch als Präsident der Österreichischen Nationalbank bestellt. Bis Dezember 2017 war er Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, davor war er seit 1. September 2014 Staatssekretär im Ressort.
Margarete Schramböck
ist Ministerin für Digitalisierung und den Wirtschaftsstandort Österreich. Die 51-Jährige war vor ihrer politischen Karriere unter anderem CEO der A1 Telekom Austria.
Interview: Alexander Pansi
Fotocredit: David Bohmann