„Wir brauchen Leistungsanreize“

Welche Stimmung herrscht bei den Unternehmerinnen und Unternehmern? Vor welchen Herausforderungen stehen die Betriebe? Gibt es Grund zu Optimismus oder kommt die nächste Krise? Und wo tun sich Chancen auf?
Fotocredit: Oliver Wolf

Josef Herk, Präsident der Wirtschaftskammer Steiermark, mit einer Bestandsaufnahme im steirischen Wirtschaftsherbst 2023.

Herr Präsident, welches Stimmungsbild nehmen Sie bei den steirischen Unternehmen in diesem Herbst wahr?

Josef Herk / Wir bemerken, dass sich der Konjunkturhimmel merklich eintrübt. Ganz besonders in der Baubranche wird der Druck auf die Unternehmen zunehmend stärker. Wenn es in diesem Segment Einbrüche gibt, wirkt sich das auf viele weitere Wirtschaftsbereiche aus. In unserem jüngsten Wirtschaftsbarometer haben uns in der Steiermark 58,1 Prozent der befragten Unternehmen eine Verschlechterung der konjunkturellen Lage gemeldet. Umso wichtiger sind jetzt Maßnahmen, die zur Belebung beitragen können.

Vor welchen Herausforderungen stehen unsere Betriebe?

JH / Die Kostensteigerungen belasten die Unternehmen massiv. Sei es der Energiebereich oder das Personal, am Ende des Tages geht es um Wettbewerbsfähigkeit. In unseren Umfragen werden die gestiegenen Arbeitskosten mittlerweile von zwei Drittel der Betriebe als größte Herausforderung genannt. Darum möchte ich auch an die Vernunft der Arbeitnehmervertreter appellieren: Selbstverständlich ist es legitim, Teuerungen im Zuge von Kollektivvertragsverhandlungen bestmöglich ausgleichen zu wollen. Aber angesichts der großen Herausforderungen wird es heuer mehr denn je auf Fingerspitzengefühl und Mut zu kreativen Lösungen ankommen. Überzogene Forderungen sind ein Spiel mit dem Feuer. Und wenn man dann auch noch versucht, eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich durchzupressen, dann kann ich nur sagen: Willkommen auf der Standort-Titanic – die Eisberge sind schon voraus.

Wie bewerten Sie die aktuell nach wie vor hohe Inflation?

JH / Faktum ist, dass wir preisdämpfende Effekte benötigen, um nicht in eine Steigerungsspirale zu geraten. Dabei geht es schlicht um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes.

Weg von der Gießkanne?

JH / Zahlungen zum Inflationsausgleich mögen zwar momentan unterstützende Wirkung haben, aber sie sind tendenziell selbst Inflationstreiber. Wichtiger wäre es jetzt, tatsächlich inflationsdämpfende Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel die Energiekosten auf einen leistbaren Bereich zu bringen und auch bei den Kollektivvertragsverhandlungen Verantwortung walten zu lassen, um die Wettbewerbsfähigkeit und damit den Wohlstand nicht zu gefährden. Ich kann es nur immer wieder betonen: Wir befinden uns in einem internationalen Wettbewerb und wenn die Kosten bei uns explodieren, wirkt sich das auf unsere Wettbewerbsfähigkeit extrem negativ aus.

Stehen wir vor einer Rezession?

JH / Ich zähle mich grundsätzlich zu den Optimisten, aber die Vorzeichen sind durchaus herausfordernd. Die Wirtschaftsinstitute prognostizieren unterschiedliche Szenarien, die jedoch alle nicht vor Zuversicht sprühen. Umso wichtiger ist es, nachhaltige preisdämpfende Maßnahmen zu ergreifen, statt weiter an der Inflationsspirale zu drehen. Parallel dazu müssen wir Leistungsanreize schaffen, zum Beispiel in Form eines Vollzeitbonus. Denn mehr Arbeit und mehr Leistung müssen sich lohnen, die sogenannte letzte Generation darf nicht die erste sein, die am Sofa kleben bleibt.

Verschärft die restriktive Immobilien­kreditvergabe die Rezessionsgefahr?

JH / Definitiv. Die KIM-Verordnung ist eines der größten Probleme. Sie verschärft die Lage.

Warum die enorme Dramatik im Arbeitskräftebereich – eine Coronafolge?

JH / Grundsätzlich resultiert die Dramatik natürlich aus der demografischen Entwicklung: Es gehen doppelt so viele Beschäftigte in Pension wie nachkommen. Wir bemerken allerdings seit Corona einen steigenden Trend zu Teilzeitbeschäftigung. Mittlerweile sind wir Europameister in der Teilzeitbeschäftigung. Wir wissen auch, dass 60 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen keine Betreuungsverpflichtungen haben. Das heißt, das hat sich bei uns ein bisschen eingebürgert und scheint en vogue zu sein. Und noch ein Aspekt: Wir haben insgesamt Rekordbeschäftigung, aber die effektiven Arbeitsstunden sind gesunken – mehr Menschen in der Beschäftigung, die aber weniger Arbeitsstunden leisten. Das ist bedenklich. Und wir gehen heute früher in Pension als in den 1970er-Jahren. Das kann so nicht funktionieren!

Woher sollen nun die benötigten Arbeits- und Fachkräfte kommen?

JH / Da ist mein Zugang ganz klar: Leistung muss sich lohnen. Das heißt: Bei denen, die mehr leisten, muss sich das auch finanziell niederschlagen. Überstunden müssen attraktiver werden. Und auch die Attraktivität der Vollzeitbeschäftigung muss im Vergleich zur Teilzeitbeschäftigung erhöht werden. Das wäre nur fair. Um das zu erreichen, sollte das gesamte Steuer- und Fördersystem überdacht und angepasst werden.

Sollte man eine Art Bonus-Malus-System einführen.

JH / Ich halte nichts von einem Malus. Es müssen positive Anreize geschaffen werden. Die Ertragsdifferenz zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung ist einfach zu gering. Ich bin auch überzeugt davon, dass man durch Anreize viel bewirken kann. Ich glaube auch nicht, dass die jungen Menschen, wie ihnen oft unterstellt wird, nur Teilzeit arbeiten wollen. Die Jugend gehört unterstützt und gefördert. Wir sehen ja bei den Berufseuropameisterschaften immer wieder, zu welchen großartigen Spitzenleistungen unsere jungen Berufstätigen in der Lage sind. Das bestätigt uns auch, auf welchem hohen Niveau unsere duale Berufsausbildung angesiedelt ist und wie viel die Unternehmen in die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses investieren. Diese „Role Models“ sollten wir noch stärker in die Auslage stellen. Ich sehe das auch als eine unserer vordringlichsten Aufgaben in der Wirtschaftskammer: jungen Menschen Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten – etwas durch unser Center of Excellence, das gerade errichtet wird.

Wie können mehr Frauen für die Erwerbstätigkeit motiviert werden?

JH / In erster Linie müssen wir einmal die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Denn was den Ausbau der Kinderbetreuung betrifft, sind wir in der Steiermark weit hinten. Da muss man jetzt endlich Maßnahmen setzen.

Wird aber schwierig, oder? Schließlich fehlen auch in der Kinderbetreuung immer mehr Fachkräfte.

JH / Da beißt sich die Katze ein bisschen in den Schwanz, ja. Wenn wir aber sehen, dass besonders bei Frauen die Teilzeitquote so exorbitant hoch ist, muss es einfach besondere Anstrengungen, aber auch entsprechende Anreize geben. Wir wissen ja auch, dass Teilzeitbeschäftigung in erhöhtem Maß zu Altersarmut führt und dass Frauen davon überproportional betroffen sind.

Der Ruhestand beendet manche Berufslaufbahn schon vor der Zeit.

JH / Um überhaupt erst einmal das faktische Pensionsantrittsalter an das gesetzliche heranzuführen, bedürfte es geeigneter Maßnahmen. Da sind die steigende Lebenserwartung und die Veränderungen in der Demografie aber noch gar nicht eingepreist. Warum es unser aufwendig finanziertes Gesundheitssystem nicht wie in anderen Ländern schafft, Menschen gesund in der Beschäftigung zu halten, wäre eine weitere Frage. Und wir müssen sicherstellen, dass Menschen, die in der gesetzlichen Regelpension gerne weiterarbeiten wollen, dafür auch attraktive Anreize finden. Es ist zum Beispiel nicht einzusehen, warum jemand, der regulär in Pension ist, noch einmal Pensionsversicherungsbeiträge zahlen soll, wenn der- oder diejenige freiwillig in einem gewissen Ausmaß noch etwas länger arbeiten will. Wir fordern darüber hinaus auch einen Steuerfreibetrag.

Derzeit scheint es einen regelrechten Hype um Arbeitszeitverkürzung zu geben. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

JH / Das Bestreben, Arbeitszeit – noch dazu bei vollem Lohnausgleich – zu verkürzen, ist ein extrem gefährliches Spiel mit unserer Wettbewerbsfähigkeit und unserem Wohlstand. Das geht sich nicht aus.

Und wenn Unternehmen das von sich aus machen?

JH / Die meisten sprechen ohnehin nicht von Arbeitszeitverkürzung, sondern von der Viertagewoche mit 38,5 Stunden. Abgesehen von der Wettbewerbsfähigkeit: Wenn wir ohnehin schon zu wenig Arbeitskräfte haben und dann auch noch weniger arbeiten – wie soll sich das ausgehen? Wie soll da etwa die öffentliche Versorgung aufrechterhalten werden. Denken wir an medizinisches Personal, an Sicherheitskräfte etc.

Zugespitzt hat sich zuletzt auch die Situation an der „Klimafront“? Stichwort „Klimakleber“?

JH / Die Wirtschaft ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Ich sehe Ökologie und Ökonomie miteinander verbunden – ganz besonders wenn ich an die steirische Wirtschaft denke. Wir sind „weltauffällig“ mit unseren Innovationen im Green-Tech-Bereich. Auch hier gilt es Anreize und Bewusstsein zu schaffen. Und dieses Bewusstsein gibt es bei den Unternehmen bereits. Verbote und zusätzliche steuerliche Belastungen sind in meinen Augen das falsche Zeichen. Dass Menschen demonstrieren, ist im gesetzlichen Rahmen ihr gutes Recht. Ich persönlich kann mit dem Begriff „Last Generation“ und der damit suggerierten Endzeitstimmung nichts anfangen. Ich würde mir mehr konstruktiven Dialog wünschen. Und wenn ich dann lese. dass eine Protagonistin nicht zu einer Verhandlung gekommen ist, weil sie nach Bali geflogen ist, ist das wie Wasser predigen und Wein trinken.

Beim Ausbau erneuerbarer Energieträger sind ja Widerstand und Verfahrensdauer das Hauptproblem?

JH / Wer den Klimaschutz ernst nimmt, muss den Ausbau sauberer Energien unterstützen. Jeder will grüne Energie, aber keiner will Windräder, Wasserkraftwerke und Co. Da braucht es auch den politischen Mut, Entscheidungen zu treffen und Behörden- und Verwaltungsstrukturen zu schaffen, die beschleunigte Entscheidungen möglich machen.

Schauplatz sich widersprechender Ansichten ist auch der Straßenausbau. In der Steiermark etwa der dreispurige Ausbau der A9 südlich von Graz oder die Packer Bundesstraße B70.

JH / Eine vernünftige Infrastruktur ist nicht nur ein Sicherheits-, sondern auch ein Umweltfaktor. Es ist leicht, von Wien aus einen Autoverzicht zu predigen, ihn abseits der großen Städte zu leben, ist aber eine andere Sache. Wir brauchen sowohl massive Investitionen in den öffentlichen Verkehr als auch in leistungsstarke Straßen wie die A9 und B70 – hier braucht es dringend mehr Pragmatismus statt Ideologie.

Mit der Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt geht ein Infrastrukturprojekt in den Errichtungsendspurt, das ebenfalls lange umstritten und umkämpft war.

JH / Eine Jahrhundertchance für die Steiermark. Aber wir müssen sie auch tatsächlich nutzen. Nur eine Hochleistungsbahnlinie als Teil der baltisch-adriatischen Achse zu haben und in 45 Minuten von Graz nach Klagenfurt bzw. von Klagenfurt nach Graz zu gelangen, wird noch nicht reichen. Wir müssen nun auch die entsprechenden Querverbindungen und Bezüge zu unseren regionalen Ressourcen schaffen, um diesen neuen Wirtschaftsraum Südösterreich, die AREA SÜD, nachhaltig zu einer europäischen Vorzeigeregion zu entwickeln. Schließlich entsteht hier jetzt der zweitgrößte Wirtschaftsraum Österreichs.

Optimismus angesagt?

JH / Kein blinder Optimismus. Aber mit Jammern ist auch noch nie etwas besser geworden. Wir brauchen eine klare, realistische Darstellung der Situation. Wir brauchen aber auch Adaptierungen an Flexibilitäts- und Attraktivitätsmodellen. Wir stehen – nicht zuletzt durch unseren Automotiveschwerpunkt – vor großen Veränderungen. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen und dafür müssen wir uns rüsten. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die steirische Wirtschaft und die steirischen Unternehmen diese Herausforderungen erfolgreich bewältigen werden.

 

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