Fast 99,5 Prozent des heute weltweit erzeugten Roheisens werden mit dem Hochofenprozess hergestellt. Dabei wird bei maximal 2200 Grad Celsius aus Eisenerz mithilfe der sogenannten Schmelzreduktion Roheisen gewonnen. Vereinfacht gesagt: Durch die Umsetzung des Reduktionsmittels Koks und alternativer Reduktionsmittel wie grünem Kohlenstoff (Biomasse), Kunststoff oder Kohlestaub wird im Hochofen Kohlenstoffmonoxid erzeugt, welches seinerseits die Erze zu elementarem Eisen reduziert. Dieses Roheisen wird zuletzt beim „Abstich“ in flüssiger Form aus dem Hochofen abgezogen.
Brandheiße Aufgabe
Genau im Zentrum dieses Hochofenprozesses, exakt im unteren Bereich des Ofens, der sogenannten Raceway setzt nun das Projekt an, dem sich die beiden K1-MET-Mitarbeiter Thomas Nanz und Matthias Kiss im Rahmen ihrer Dissertation am Institut für Verfahrenstechnik an der TU Wien widmen. Denn die Verwendung alternativer Reduktionsmittel (Alternative Reducing Agents, ARAs) wie Kohlenstaub, Biomasse oder Kunststoffreste ersetzen den metallurgischen Koks im Prozess teilweise und sind für die Eisen- und Stahlindustrie hinsichtlich ökonomischer und ökologischer Effizienz höchst wertvoll.
Die Kernaufgabe der jungen Wissenschaftler ist dabei, ein Modell zu entwickeln, mit dem man berechnen kann, wie sich die eingesetzten alternativen Reduktionsmittel bzw. ihre Partikel im Hochofenprozess – unter den dort vorherrschenden Reaktionsbedingungen – verhalten: Wie sie sich dabei verändern und bewegen, wie lange der Prozess dauert, welche Stoffe dabei freigesetzt werden usw. – um letztendlich daraus ableiten zu können, welches Reduktionsmittel unter diesen oder jenen Bedingungen besser oder auch schlechter geeignet ist. Wesentlich ist hier also auch die Geschwindigkeit, d.h., Kinetik der Partikelumsetzung.
Der ARA-Reaktor
Das Projekt verfolgt im Wesentlichen zwei Stoßrichtungen – eine experimentelle, für die Thomas Nanz verantwortlich ist. Und als zweite eine Simulation der Vorgänge mit Partikelrechenmodellen, bei der Matthias Kiss für die digitale Modellierung zuständig ist. Diese soll virtuell zeigen, was im Inneren des Hochofens passiert.
An der TU Wien wurde für die Experimente des Projekts im Rahmen des COMET K1-MET Programms ein eigener Reaktor – der ARA-Reaktor (Alternative Reducing Agent) – entwickelt und gebaut, der die Reaktionsbedingungen in der sogenannten Raceway-Zone nachbildet. Diese Raceway- oder Wirbelschichtzone ist für die Betrachtung der Vorgänge von größtem Interesse, denn sie beschreibt jenen Bereich, in dem sich die Partikel (Koks und ARAs) im Hochofen relativ frei bewegen können.
Thomas Nanz: „Der Testreaktor stellt die Reaktionsbedingungen sehr genau nach und ermöglicht uns einen Blick darauf, wie die Partikel tatsächlich umgesetzt werden. Wir können mit ihm die Partikelcharakteristiken der Reduktionsmittel analysieren und deren Verhalten bei unterschiedlichsten Prozessparametern vergleichen. Aktuell sind wir gerade dabei, die ersten Ergebnisse auszuwerten.“ Und er ergänzt, dass der aktuelle Fokus auf den Hochofenprozess nur der Anfang sei, weil man letztendlich den gesamten Prozess der Roheisenerzeugung mit dem Modell begleiten möchte.
Die Simulation
Der ARA-Reaktor hat aber auch einen kleinen Nachteil: Man hat mit ihm nur eine begrenzte Sicht auf die Umsetzungsprozesse der Partikel. Matthias Kiss: „Dementsprechend verwenden wir die Simulation dazu, um die Umsetzungsprozesse noch detaillierter, auf Einzelpartikelgröße, analysieren zu können. Die Ergebnisse aus dem Reaktor und der Simulation sollen zusammengefügt letztendlich ein ganzheitliches Bild von den Umsetzungsprozessen der Partikel ergeben.“
Modelliert wird über zwei Rechenmodelle: einerseits mit dem sogenannten Lagrange-Partikelmodell, bei dem sich viele Partikel entsprechend der Newtonschen Bewegungsgleichungen entlang eines Strömungsfeldes bewegen. Dieses Modell zeigt, wie sich die Partikel durch die Wirbelschichtzone bewegen und wie sie verschiedene Temperaturen, Gaskonzentration etc. durchlaufen.
Im zweiten, dem sogenannten Euler-Euler-Modell, liegt der Fokus darauf, was im Innern des Partikels passiert. Der Hauptgrund für die Trennung in zwei Modelle liegt in der benötigten Rechenzeit. Matthias Kiss: „Ziel der Simulation ist ein Rechenmodell, das mit den Daten bzw. Messungen des Reaktors übereinstimmt, das aber die weiteren Effekte im Umsetzungsprozess vorhersagen kann, die man im Reaktor nicht experimentell bestimmen kann.“